Überführungsfahrt in die Ukraine: ein Drama in 5 Akten

1. Akt: Die Vorbereitung


Alles fing mit einer Mail an. Die Diakonie, über die ich an den Ehrenamtsjob bei dem SKFM gekommen bin, schrieb einige Ehrenamtler an, weil sie Fahrer brauchten, die gespendete Mercedes-Sprinter in die Ukraine fahren sollten. 

Geplant war die Aktion am Fronleichnam mit Rückkehr am Samstag oder Sonntag, falls jemand zwischendurch übernachten wollte. 11 Sprinter sollten gebracht werden, 2 Begleitfahrzeuge sollten die Fahrer dann wieder zurückbringen. 

Ich dachte 6,5 Sekunden nach und schrieb zurück: Bin dabei. Einen Tag später kam eine Mail: danke, freut uns, weitere Infos kommen bald.

Bald ist ein dehnbarer Begriff. Stattdessen kam sonntags eine SMS: bitte Passnummer und Foto vom Führerschein schicken. Infos folgen. Ok, jetzt wurde es ernst. 

Dieses Mal hatte man bei den avisierten Infos das „bald“ weggelassen. Ich schrieb nach ein paar Tagen eine Mail an den Verantwortlichen und 1 Tag später kam die Info:

Mercedes hatte die Sprinter nicht geliefert, das Ganze verzögert sich. Die Mail war an 14 Leute gerichtet. So konnte ich mir wenigstens die Mailadressen der Mitfahrer mal ansehen. 4 Namen waren in kyrillisch, 1 Frau. Die Hälfte der Kollegen hatte eine Caritas-Adresse, der Rest war eher privat. 

Ich war irgendwie davon ausgegangen, dass jedes Auto mit 2 Fahrern besetzt wird, aber nun sah es so aus, als ob pro Auto nur 1 Fahrer geplant ist. 

Spannend.

Knapp 1.600 km alleine Fahren mit „eventuell“ einer Übernachtung. Als erstes habe ich mir ein 4er-Pack Energy-Drinks gekauft. 

Es kam eine neue Mail. Treffpunkt im Kaufhaus Wertvoll um 9 Uhr, dann ein Briefing und Einweisung in die Autos und die Funkgeräte. Start um 11 Uhr. Kolonne fahren und eine voraussichtliche Fahrtzeit von 15 Stunden. Es war ein nicht so stark frequentierter Grenzübergang gewählt worden, und wir sollten mit leeren Fahrzeugen fahren, um die Kontrollen so kurz wie möglich zu halten.

Das hörte sich auch nicht so toll an. Erst um 11 Uhr? Wollen wir die Nacht durchfahren?

Wieder vergingen Tage und der Tag der Abfahrt kam näher.

Dann eine erneute Mail: Treffen um 7 Uhr, Start um 8. Strecke für den Tag: 1.000 km, dann Übernachtung in einem Priesterseminar. Am nächsten Morgen weiter um 6 Uhr bis zur Ukrainischen Grenze. Dort sollen wir mit 5 Stunden Aufenthalt rechnen, bevor wir durch sind. 

Von da aus sind es noch 5 km bis Okko in der Ukraine, wo die Fahrzeuge an Caritas Ukraine übergeben werden. Nach der Prozedur soll es dann zurück nach Polen gehen in das ca. 100 km entfernte Krośzienko. Dort sind Hotelzimmer gebucht und nach einer weiteren Nacht starten wir dann wieder um 6 Uhr Richtung Düsseldorf. Entweder in einem Rutsch oder mit noch einer Übernachtung, falls wir unterwegs in einen Stau geraten.

Das hörte sich mehr nach einem Plan an. Sicherlich anstrengend, aber machbar. Warum allerdings nicht mit 2 Fahrern pro Auto gearbeitet wird, blieb mir verschlossen. 

Zwischendurch bereitete ich mich vor. Ich machte eine Packliste. 

·       Jeans,

·       Bermudas, 

·       3 T-Shirts, 

·       Unterwäsche,

·       Socken,

·       Sweatshirt,

·       Regenjacke,

·       Sneaker,

·       Kulturbeutel,

·       Ladekabel,

·       Smartphone, 

·       Schlafsack (sicherheitshalber),

·       Handtuch, 

·       Snacks und Kaugummi,

·       2 Energy-Drinks.

Das sollte reichen.


2.  Akt: Der 1. Tag, Fahrt nach Opole

 

Der besagte Montag kam.

Es war kalt. Regen! Daggi brachte mich zum Kaufhaus Wertvoll in Wersten. Hier, im Hinterhof, warteten 11 graue, nagelneue Sprinter auf uns. Und eine bunte Truppe von Fahrer:innen. Na ja, es waren 13 Männer und eine Frau.  

Wir standen im Hof und sahen uns um. Dann stellten wir uns unter. Wir begannen, Tüten zu verteilen. Eine mit Sandwiches und Getränken, eine mit Süßigkeiten und Obst. Dazu ein Umschlag mit Papieren. 

 



Jeder von uns bekam eine Caritas-Weste; danach sahen wir irgendwie uniformiert aus. War aber praktisch, weil wir nun leicht als Gruppe zu erkennen waren.

 

Jemand wies uns jeweils „unser“ Auto zu. FR 961 A war meiner. 

Ein nagelneuer dunkler Sprinter. Am Blinkerhebel hing ein Bund mit 4 Schlüsseln. Die Farbe der Autos: Amazon-Blau. Angeblich waren die Autos im Auftrag von Amazon gefertigt worden, sind aber, weil sie nicht der Bestellung entsprachen, nie abgenommen worden.

Wert eines Fahrzeuges (aus der beigefügten Spendenbescheinigung) 69.000.- €. 

Aus dem Nachbarfahrzeug hörte ich: Scheiße!

 

Ich ging dem Ausruf nach und fand einen Kollegen schimpfend vor. Es gab keinen USB-Anschluß. Es gab nur eine Zigarettenanzünder-Steckdose und mehrere USB-C – Buchsen. Nicht die alten, auf die wir wohl alle gebaut hatten und die mittlerweile nicht mehr erlaubt waren. Na ja, es waren neue Autos!

 

Der EDEKA gegenüber machte den Umsatz seines Lebens. 12€ kostete ein Adapter: Zigarettenanzünder auf „Alt-USB“. 

Ich kann mir den Disponenten vorstellen, der aus dem Ereignis: „11 Adapter an einem Tag verkauft“ schon mal 330 weitere für den nächsten Monat ordert. Bedarfsgesteuerte Lagerhaltung.

Wir bauten den Adapter ein und testeten: funktioniert. Das Aufladen des Handys war gesichert.

 

Wir warteten. 

 

Leute gingen hin und her, man unterhielt sich. Die Fahrer schienen sich irgendwie zu kennen. Schnell bekam ich heraus, dass es alles Caritas-Leute waren. Alle so zwischen Ende 30 und Mitte 60. War ich der einzige nicht-Caritas-Mann?

 

Dann bewegte sich etwas. Ein Typ und eine Frau erschienen. Beide mit Kameras um den Hals. Klar, die Presse war da. Tue Gutes und rede darüber. Der Reporter interviewte einen der Offiziellen und machte sich (wie man das aus alten Filmen kennt) handschriftliche Notizen auf einem Block. 

Ja, wir fahren in die Ukraine. Nein, wir transportieren keine Ladung. Ja, der Trip dauert 3 Tage. Und so weiter.

 

Wir standen da und warteten. Um 8 Uhr wollten wir fahren, es war fast 9. 

Dann ging es los. Wir sollten losfahren und zur nächsten Tankstelle düsen. Von da aus wollten wir gerne Konvoi fahren, aber der Leiter der Expedition bezweifelte, dass wir das hinbekommen sollten. Wir vereinbarten eine Pause nach ca. 500 km. Der genaue Ort sollte später per WhatsApp folgen. 

 

Es ging los.

 

Ich startete zum ersten Mal den Sprinter und legte (verdammt, wo ist hier die Schaltung??) den ersten Gang ein. Die Schaltung des Automatik-Fahrzeuges (hurraaa!) war an der Lenksäule. Vorwärts, Rückwärts, Neutral und Parken.

Die Ausfahrt aus dem Hof war ungewohnt mit dem Riesenschiff. Außerdem war es eine hohle Trommel. Es gab keinen Innenausbau, hinter mir war gähnende Leere. Nach 300 m waren wir an der Tankstelle. Einer der Leitenden (ich kannte keinen davon) steckte den Rüssel in die Öffnung. So wurde, ohne den Rüssel wieder zurückzustecken, auf eine Rechnung getankt. Schätzungsweise 13*80 Liter für 1,67 € machen fast 1.750€. Schnelles Geld für den Tankstellen-Betreiber.

 




Als ich fertig war, fuhr ich los. Navi brauchte ich erst mal nicht, den ersten Teil der Route kannte ich. A 46, A 1, A 44, dann Richtung Leipzig, Dresden, Görlitz. 

Praktischerweise war vor mir ein Kollege und ich setzte auf die Taktik: einfach dranbleiben und hinterhergurken.

Wir gingen in Wersten auf die Autobahn, passierten den Uni-Tunnel und danach setzte mein Vordermann den Blinker. Bei Ikea wollte er raus. Seltsam! Hatte ich irgendwas nicht mitbekommen? 

 

Intuitiv fuhr ich hinterher. Er verließ die Bahn und fuhr wenig später auf den Autohof.

Seltsam!

 

Ich hielt hinter ihm an und er stieg aus und kam zu mir. „Ich brauche noch einen USB-Adapter!“ meinte er. „EDEKA hatte keine mehr“.

Reingefallen.

 

Aber egal. Ich wartete, bis er wieder rauskam und blieb hinter ihm. Wahrscheinlich war ich nun nach dieser Aktion das Schlusslicht der Karawane. 

 

Das war unser Start. 11 Autos in die Ukraine bringen. Keine Einweisung, keine Funkgeräte, 

nur ein paar Fotos, eine Presseerklärung mit Interviews und dann los. Keine (wie avisiert) Kolonne.

Das Ganze startete irgendwie sehr chaotisch und planlos. Wenn man bedenkt, dass wir mit Autos im Wert von über 700.000 € unterwegs waren? Plus die beiden Begleitfahrzeuge (9-Sitzer). 

 

Die Autos waren toll. Automatikgetriebe, Bordrechner, Multimedia, Klima. Es gab ein kleines Lenkrad mit der Mercedes-typischen Lenkradschaltung. Das erinnerte mehr an einen PKW als an so einen großen Bus. Der Innenraum war leider unverkleidet, deshalb war es im Auto sehr laut. Ich hatte mir mehrere Hörbücher mitgenommen, um mir die Zeit zu vertreiben, aber das konnte man vergessen. Ging aber auch ohne. 

 

 

Anfangs regnete es stark und es gab viel Verkehr. Spätestens ab Kassel wurde es weniger Verkehr und die Straßen wurden freier. Dann besserte sich auch das Wetter und der Regen wurde weniger. 

 

Wir fuhren in Richtung Dresden auf ziemlich entspannten Autobahnen und man konnte mit Tempomat fahren. Die Wagen waren auf 125 km/h gedrosselt, aber das reichte auch aus. Teilweise hatten wir starken Seitenwind, da musste man etwas vorsichtiger fahren. Der Aufbau des Sprinters wirkt wie ein Segel. Aber das kenne ich von meinem Auto ja auch.

Insgesamt war das mit der Automatik und dem sehr bequemen Sitz eine entspannte Fahrerei. 

 

Und so fressen wir einen Kilometer nach dem anderen. 

 

Bei Grimma machten wir eine längere Pause. Die Wagen wurden getankt und wir machten uns über die in den Tüten bereitgestellten Leckereien her. Etwas uneins waren wir uns über das Tagesziel. Erst hieß es wir fahren zum Priesterseminar, dann hieß es wir fahren zu einer Tankstelle in der Nähe, dann war wieder das Presseseminar vorne. 

 

Der Navi ist schwierig zu programmieren vor allem wenn man ein anderes Land auswählen will. Aber irgendwie habe ich es hingekriegt. 

 

Dann ging es weiter Richtung Görlitz und in Richtung polnischer Grenze. 

 

Dann kam eine WhatsApp, mit der Info, dass es überhaupt keine Grenze geben. Man kann einfach so durchfahren. Was denn nun? 

 

Aber die letzte Info stimmte: die Grenze war komplett offen und wir waren in Polen.

 

Jemand fragt sie über WhatsApp, ob wir an der Tankstelle hinter der Grenze nach Polen noch mal einen Stopp machen wollen. Ich antwortete „ja, von mir aus gerne, da könnten wir uns treffen. 

Jemand anderes schrieb „okay super“, aber dann fuhren alle an der Tankstelle, an die ich wartete, vorbei. 

Blöd. 

Aber wir kamen insgesamt gut weiter und erreichten dann um kurz nach sieben abends unser Tagesziel: das Priesterseminar. 

 


Hier empfing uns ein sehr freundlicher Priester, der uns kurz darauf zum Abendessen führte. 

Es gab Bratkartoffeln mit Hühnerbrust. Dazu Brot mit Wurst, Käse und Gurken. 

Lecker!



Danach wollte ich noch in die Stadt, aber es gab Probleme mit dem „wieder reinkommen“. 

 




Ich fragte den Priester, und er sagte, er würde einfach das Tor angelehnt lassen. Ich war damit nicht glücklich, aber ich dachte: okay probieren kann man das. 

 

Ich ging ein bisschen spazieren und sah mir das Zentrum des Ortes an. Eine nette, kleine polnische Stadt. Als ich zurückkam, war das Tor natürlich zu. 

Keine Klingel! 

Gar nichts. 

 

Es blieb nichts anderes übrig, als über die Mauer zu klettern. Die war circa brusthoch, das war also kein Problem, aber es waren überall Schilder mit Piktogrammen von Überwachungskameras, und ich wollte hier nicht unbedingt in die Zeitung kommen. Aber ich schaffte es, und mit dem Handy als Taschenlampe fand ich auch den richtigen Eingang in dem stockdunklen Innenhof.

 

Das Gelände war ziemlich groß und man konnte sich gut vorstellen, wie hier die Priester ausgebildet werden. Im Moment war allerdings Urlaubszeit und es waren keine Priesterstudenten da. Dadurch gab es auch keinen Konflikt durch die Frau in unseren Reihen. 

 

Die Nacht war nicht so lang, weil es am Tag drauf um 6 Uhr weitergehen sollte. Die Unterkunft bestand aus einem kleinen Vorraum, einer Toilette und einem Badezimmer, sowie 2 Schlafräumen. Ich hatte Glück und bekam einen Raum für mich alleine. 


Für die Priester, die hier längere Zeit wohnen müssen, war das kein Ponyhof. Ich habe selten so eine harte, unnachgiebige Matratze gesehen. Und darauf geschlafen. Aber man war nach der Fahrt ziemlich müde, so dass ich, obwohl das Schnarchen aus dem Nachbarraum auch in meinem Zimmer gut zu hören war, schnell einschlief.

3.  Akt: Auf zur Grenze

 

Am frühen Morgen gab es ein reichhaltiges Frühstück und danach reihten wir uns wieder auf zur Weiterfahrt. Das Ganze erinnerte mich ziemlich stark an das „Aufsitzen“ bei der Bundeswehr, wenn wir in Kolonne mit den Panzern zu irgendeinem Übungsplatz gefahren sind.

 

Wir fuhren aus der Stadt raus und dann zu einer Tankstelle. Dort erzählte Vadim, ein netter Ukrainer, der seit 25 Jahren in Deutschland lebte, dass auf dieser Transitstrecke früher regelmäßig Überfälle durchgeführt wurden. Die Polen warteten auf Russen, die, nachdem deren Stationierung beendet war, mit Sack und Pack nach Hause fuhren. Lohnenswerte Beute. Es wurde auch schon mal angeboten, gegen Zahlung von 100 Mark die Scheiben der Fahrzeuge NICHT zu zertrümmern. Gute Geschäftsidee!!! Auch eventuell vorhandene Transitschilder waren gesuchte Gegenstände für den Autoschmuggel.

 





Von nun an fuhren wir auf oft gut ausgebauten Landstraßen weiter. Es war eine wunderschöne Gegend, vergleichbar mit Österreich oder der Schweiz. Sanfte Hügel mit saftigen Wiesen oder bewaldet, sehr gepflegte Häuser mit noch mehr gepflegten Gärten und alle paar Kilometer ein Storchennest mit den dazugehörigen Bewohnern. Über und vor uns ein dramatischer Himmel. Toll. 

Ich denke, ich werde hierher zurückkehren mit mehr Zeit (und einem kleineren Auto).

 

Wir näherten uns der Grenze und machten 20km davor einen letzten Tankstopp. Dann kam die Hiobsbotschaft. Einer der Fahrer fühlte sich schlecht und musste ins Krankenhaus. 

Nun warteten wir erst mal, wie es weitergehen sollte. Ungewissheit ist immer doof. Aber nicht zu vergleichen mit so einem Krankheitsfall.

 

Wir stehen herum und die Kollegen nutzen die Zeit, sich vorzustellen. Alle scheinen von der Caritas zu sein, nur in verschiedenen Standorten. Ich bin bei der Geschichte außen vor und werde nicht wirklich beachtet. Seltsames Gruppenverhalten. Dann kommt die Nachricht, dass der kranke Kollege von dem ersten in ein zweites, besseres Krankenhaus gebracht worden ist. Also ein ernsthafter Fall. Das bedeutet, dass der Kollege heute wohl nicht mehr zur Verfügung steht. 

 






Nun wurde beschlossen, zur Grenze zu fahren. Als wir ankamen, fuhren wir erst mal an einer ca. 2 km langen Warteschlange vorbei. Viele Ukrainer, viele Autotransporte. An den Schranken hielten wir an und Christian, der Leiter der Aktion, ging mit dem Ukrainer Vadim, um mit dem Zoll und den Grenzern zu verhandeln. 

Aus der Entfernung konnten wir nur erkennen, dass viel hin und her diskutiert wurde. Dann kamen die 2 mit bedrückten Gesichtern zurück: Wir würden die Grenze nicht passieren dürfen.

 

Uns fehlten, wurde nun berichtet, Exportpapiere. Ganz normale Formulare, die pro Fahrzeug ausgestellt werden sollten. Natürlich stellten alle die Frage, warum wir keine solchen Bescheinigungen hätten, aber es gab keine gute Antwort. Nur die Tatsache: wir hatten die Papiere nicht und ohne die ginge es nicht weiter.

Christian beschloss, zu einem Zollbüro in der Nähe zu fahren, um die Papiere zu besorgen. Das Büro hatte 24/7 auf, also machte Christian sich auf den ca. 80 km weiten Weg (Hin und zurück 160 km auf polnischen Straßen). 

 

Funfact: an den großen Grenzübergängen, die wir wegen längerer Wartezeit meiden wollten, hätte es ein Zollbüro gegeben. Aber hinterher ist man immer schlauer.

Also übten wir uns in Geduld. 

Allerdings nicht lange. Eine freundliche Dame, mit der wir auch vorher schon geredet hatten, kam zu uns und meinte, wir sollten von dieser 2. Reihe, in der wir mit unseren 11 Autos standen, schnell verschwinden. Die Zöllner seien angefressen. 

 

Das wollten wir natürlich nicht und so beschlossen wir, zu einem kleinen Ort zu fahren, um da was zu essen. 

Die Kolonne bewegte sich über kleine und kleiner werdende Straßen, überquerte eine sehr sehr wackelige Holzbrücke bis klar wurde: das war ein Weg nach nirgendwo. Nicht so einfach, einen Platz zu finden, wo man mit den 11 Autos parken kann UND wo man was zu essen bekommt. 

 


Also drehten wir um und fuhren zu der Tankstelle nach Kroszienko, wo wir vor Kurzem getankt hatten und kamen dabei auch wieder an einer ebenfalls ziemlich wackeligen Metallbrücke vorbei. Gegenüber von der Tanke war ein Restaurant, da wollten wir was essen. 

Als wir an der Tanke ankamen, ging mein Telefon los: Bombenalarm in Lemberg. Die Ukraine und auch der Krieg sind nicht weit weg!

Auf der Karte im Restaurant stand Leber und es gab alkoholfreies Bier. Ich sage mal so: Die Leber war sehr lecker!!

 

Während des Essens wurde mir klar, dass ganz offensichtlich nur sehr wenige Ehrenamtler dabei waren. Das merkte man daran, dass sich einige Hauptamtler darüber echauffierten, dass man an solchen Tagen nur maximal 10 Stunden Arbeitszeit aufschreiben dürfe. Cool. 

 

Zwischendurch gab es ein Telefonat mit Christian: Das Zoll Büro wollte alle Autos sehen und kontrollieren, bevor es die Exportbescheinigungen ausstellen wollte. Wohlgemerkt: Christian hatte alle KFZ-Papiere incl. Briefe dabei!! Außerdem war der Bestimmungsort ein Problem. Eigentlich wollte man ursprünglich alle Fahrzeuge auf Lemberg schreiben und von da aus sollten die Wagen von den Ukrainern verteilt werden. Aber es hieß, der endgültige Bestimmungsort muss in den Papieren stehen. Nun waren da aber 3 Bestimmungsorte dabei, die in Krisengebieten lagen, und da durften die nicht hin. Da kam eine Menge Arbeit auf uns zu. 

 




Wir aßen in Ruhe zu Ende und fuhren danach in das für die Rückfahrt vorgesehene Hotel. Die Managerin machte extra für uns die Bar wieder auf und so gab es 2 herrliche, große, kalte Biere (dieses Mal mit Umdrehungen). Christian war nun auch wieder da, nachdem er von der lokalen Polizei mit einer Zahlung von 200 Zloty für schnelles Fahren bedacht worden war. Im Prinzip fuhren wir alle zu schnell. Oft sind wir mit 60-70 durch kleinere Ortschaften gedonnert, aber wir hatten Glück gehabt.



4. Akt: Ukraine

 

Am frühen Morgen schellte dann der Wecker und es gab ein ausgiebiges, leckeres Frühstück. Wir fuhren dann nach Rzeszow, wo es eine Caritas-Niederlassung gab. Dort wollte sich Christian Unterstützung holen, um die Papiere in Ordnung zu bringen. Eine Mitarbeiterin wurde extra für ihn abgestellt und war, wie wir später erfuhren, auch sehr hilfreich. 

Der Weg dahin führte wieder über recht schmale Straßen und Begegnungen mit anderen LKW waren immer „interessant!“.

 

Einmal kam mir ein Autotransporter entgegen, der nicht wirklich rechts fuhr. Ich quetschte mich soweit ich mich traute an den rechten Fahrbahnrand, aber vergebens. Mit einem lauten Knall begegneten sich beide Außenspiegel und (zumindest) meiner hat es nicht gut vertragen. Der polnische Autotransporteur fuhr gnadenlos weiter. 

 

Ich konnte an der Stelle nicht anhalten und fand erst 3-4 km weiter eine Stelle, wo ich von der Straße runterkam. Der obere Spiegel war nicht zerbrochen, wohl aber der untere. Beide hingen an ihren Kabeln herunter. Als erstes demontierte ich beide Spiegel und legte sie in die seitliche Ablage. Und dann fuhr ich ohne Spiegel weiter. Bei der Gelegenheit konnte man gut feststellen, wie wichtig so ein Spiegel ist, vor allem, weil es keinen inneren Rückspiegel gab. 

 


Aber ich schaffte es, ohne Kollisionen zu der Caritas-Geschäftsstelle zu kommen. Dort half mir dann ein Kollege, wenigstens den großen Spiegel tatsächlich wieder zu montieren. Nur der kleine, der den toten Winkel ausleuchten sollte, war kaputt. Aber auch den bekam ich wieder eingesetzt, so dass man wenigstens in den Splittern Gegenstände erahnen konnte.

 

Und wie ging es weiter? Wir machten nichts. Herumgammeln, quatschen. Wir wurden von dem ebenfalls sehr freundlichen und hilfsbereiten Pfarrer mit Kaffee versorgt und warteten.

Erst war es ziemlich heiß, dann folgte ein kräftiger Gewitterschauer. Zwischendurch kam eine alte polnische Dame, die uns furchtbar beschimpfte. Wahrscheinlich ging es darum, dass das polnische Volk Nachteile hat, während die Ukrainer alles nachgeworfen bekommen. 

 

Solche Menschen gibt es überall und wahrscheinlich ist der Grund nicht Rassismus, sondern eher Manipulation durch verschiedene, populistische Pressekanäle.  

Irgendwann tauchte dann Christian wieder auf und ging in einen der Räume, um die Papiere ‚anzupassen‘. Die Bestimmungsorte wurden noch „frisiert“ und irgendwann hieß es: auf zur Grenze. Christian hatte von einem der freundlichen polnischen Grenzer einen Zettel mit einer Nummer bekommen, die uns priorisierten Übergang verschaffen sollte. Leider war der Zettel verloren gegangen. 

 

„Magic Vadim“ hat allerdings wieder ein Wunder vollbracht und so kamen wir trotzdem mit Priorität an die Grenze, vorbei an langen Schlangen!

Zwischendurch kam mal das Gerücht auf, dass die Ukrainer nicht mehr an der vereinbarten Tankstelle sein würden, weil für den Kreis Lwiew eine Ausgangssperre nach 20 Uhr bestünde; das entpuppte sich aber als Ente. 

Um 19 Uhr waren wir an der Grenze (in der Schlange) und um 20:15 konnten wir nach vorne durchfahren. 






 


Zwischendurch kamen über die App einzelne Bombenalarme für den Kreis Lwiew und 20 Minuten später immer die jeweilige Entwarnung. Die Ukrainer haben trotz des großen Leides, was sie erfahren müssen, immer noch Humor. Nach der Entwarnung kam immer der Spruch: May the force be with you! (Möge die Macht mit euch sein) aus Star Wars.

An der polnischen Grenze wurde ausgiebig kontrolliert. Motorhaube auf, Laderaum auf, Wagenpapiere, Zollpapiere, Pass. Auch meine Privatadresse wollten sie haben (???). Irgendwann waren wir fertig und rollten vor zur Ukrainischen Grenze. Hier war mehr oder weniger die gleiche Prozedur, nur, dass es danke Magic Vadim schneller ging. 

 

Zwischendurch kam Vadim zu uns und erzählte folgendes: Wenn Selenski die Truppen besucht, reißen sich die Soldaten gerne die Namensschilder und / oder die Rangabzeichen von der Brust und schenken sie ihm als Zeichen ihrer Unterstützung und Treue. Dann zeigte uns Vadim einige Abzeichen, die die Grenzer ihm in Dankbarkeit geschenkt hatten. Cool! 

 




Um 22:45 waren wir in Okko an der Tankstelle, wo wir die Ukrainer trafen. Die warteten wohl schon seit 50 Stunden auf uns und waren froh, als wir endlich kamen. Ich parkte zum letzten Mal den Sprinter, nahm die Papiere und meinen Rucksack. 

 

Draußen wurde ich umringt von Ukrainern und las den Namen vor, der auf meinen Papieren stand. Ein junger Mann und sein Sohn meldeten sich. Ich gab ihnen Papiere und Schlüssel, zeigte den kaputten Spiegel und hätte ihnen auch gerne das Auto erklärt. Aber ich denke, die sprachen kein Englisch und irgendwie (nachvollziehbar) wollten die auch weg. Sie würden nach Kherson fahren, das sind von hier aus noch mal über 1000 km. Ich verabschiedete mich und damit war der 1. Teil der Tour für mich erledigt. 

 




Es dauerte noch eine Weile, bis alle Sprinter da – und übergeben waren. Dann stiegen wir in die beiden Begleitfahrzeuge und machten uns auf in Richtung Grenze.

 

Magic Vadim hatte mit den Zöllnern vereinbart, dass wir über die Überholspur kommen würden und dann würde man uns an der Grenze eine Schranke aufmachen. Allerdings warnte man uns vor den anderen Wartenden: die würden das nicht toll finden. Und so kam es auch: ein Ukrainer in einem ziemlich neuen Audi beschimpfte uns ausgiebig, anhaltend und laut. Als wir vorne waren, hatten wir noch 10 Autos vor uns, jeder Durchgang dauerte ca. 15 Minuten.

Warten.

 




Neben uns stand ein großer Reisebus. Davor, wie in der Schule, eine Reihe mit jeweils 2 Personen nebeneinander. Die standen da und warteten, bis sie ins Zollbüro gerufen wurden. Neben dem Zollbüro war ein Klo. Ich ging da hin, vorbei an der Schlange und laut Vadim wurde das zornig kommentiert. 

 

Als ich zurückkam fragte mich ein Kollege, wo denn hier die Klos seien und ich antwortete: komm, zeig ich dir. Und dann gingen wir wieder zusammen an der Schlange vorbei und der Unmut (die dachten, wir gehen zum Zoll) wurde lauter. 

Um 2:21 konnten wir die Grenze passieren und waren um 4 Uhr morgens im Hotel.

Der Nachtpförtner öffnete uns und bevor er wieder in sein warmes Bett fliehen konnte, dirigierten wir ihn in die Bar. Und er war so freundlich…..


5. Akt: Rückfahrt

 

 Kurz darauf, so gegen 7 Uhr, klingelte mein Wecker. Das leckere Frühstück wollte ich genießen. Es versprach, ein schöner Sonnentag zu werden und dementsprechend war auch die Laune. Um 9:30 fuhren wir los:1500 km bis nach Düsseldorf. Anfangs ging es durch die wunderschöne Landschaft per Landstraße, aber dann kamen wir auf die Autobahn. Hier war die Diskussion, wie wir die Maut bezahlen sollten? 

 

Offensichtlich waren es mautpflichige Straßen aber sie waren automatisiert, da war also keiner, mit dem man reden konnte. Christian hatte sich eine App runtergeladen, aber die Kontaktdaten mussten noch in einem Büro der Mautgesellschaft durch vorweisen eines Ausweises verifiziert werden. Diese Büros waren aber nicht an der Autobahn, sondern in irgendwelchen Städten. Und da kamen wir nicht hin. Spannend. 

 

Weniger spannend war das Unterhaltungsprogramm im Auto. Die Kollegen unterhielten sich zu über 90 % über Interna bei der Caritas. Der doofe Herr Müller, der faule Herr Schmitz und die ewig tratschende Frau Weber. Für mich eher langweilig. 

 


Wir fuhren durch Polen, machten eine Bio-Pause, tankten und fuhren weiter. Ich hatte einen ganz komfortablen Sitzplatz, aber schlafen konnte ich auch nicht. Die Kilometer zogen zäh vorbei.

Ich glaube, wir waren schon in NRW, als wieder mal ein neuer Fahrer gesucht wurde. Die bisherigen Fahrer hatten lange durchgehalten, aber jetzt waren einfach alle ziemlich müde. Ich bot mich an und durfte nun den Ford fahren. Ein Schalter mit 6 oder 7 Gängen, fast wie ein Fahrrad. Solche Schaltungen bin ich nicht gewohnt, ich habe bei 5 Gängen aufgehört, selber zu schalten. Und so geschah es auch, dass ich bestimmt 10 Minuten im vorletzten Gang gefahren bin, bis ich merkte, dass da noch einer war. 

 

Nach 15 Minuten meldete sich Anna. Sie war beim letzten Stopp in den Waschräumen der Raststätte gewesen und hatte dort ihr Portemonnaie liegen gelassen. 

Ich fuhr an der nächsten Raststätte runter und ließ mich von einem Mitfahrer lotsen. Wir verließen den Platz über eine nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Straße, unterquerten die Autobahn und fuhren auf der anderen Seite auf den dortigen Rastplatz und dann in entgegengesetzter Richtung davon. 

 

Bei der Raststätte, wo wir die Geldbörse vermuteten, machten wir das Gleiche. Nach 10 Minuten kam Anna mit ihrem Portemonnaie zurück, wo allerdings nicht nur das Bargeld, sondern auch andere Papiere / Kreditkarten fehlten. Pech.

Weit bin ich nicht mehr gefahren. Ich merkte, wie mir die Augen weh taten und ich viel zwinkern musste. Bei mir ein deutliches Zeichen, anzuhalten. Nach vielleicht 40 km fuhr ich raus und Anna setzte sich erneut hinter das Steuer. 

 



Pech für sie, Glück für mich. 2-3 km weiter fuhr sie in einer Baustelle in eine Radarfalle. Gute 90, wo 80 erlaubt war. Das wäre mir auch passiert.

Kurz nach 2 Uhr nachts rollten wir auf den Hof der Caritas in Düsseldorf. Ich rief mir einen Uber, der gewohnt schnell kam und mich durch die leere Stadt nach Hause fuhr. 

Ich hatte mit Daggi vereinbart, dass sie den Hausschlüssel in den Kofferraum ihres unverschlossenen Autos legte und da fand ich ihn auch. 

 

Ich ging dann nicht ins Bett, sondern legte mich in meinem Zimmer auf die Liege. Ich wollte nicht zu tief schlafen, weil ich um 5 wieder aufstehen wollte. Der Alltag hatte mich wieder

 

 

 

 

 

 

 

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